Modell Niederlande: Auf dem Weg zur flexiblen Universität
von Wolfgang Stroebe
Die Situation an den niederländischen Universitäten kurz zu beschreiben ist schwierig, da das hiesige System weniger durch Gesetze normiert ist als in Deutschland. Zudem sind die niederländischen Kultusminister und Universitätsleitungen so innovationsfreudig, da\xa7 die Situation sich ständig ändert. Diese 'Innovationswut' hat wiederum bei den Wissenschaftlern eine gewisse 'Innovationsresistenz' hervorgerufen. Es gibt Tendenzen, Pläne für allzu dramatische Eingriffe durch gegenwirkende Entwicklungen des informellen Systems zu neutralisieren. Dieses Spiel der Kräfte brachte dennoch Veränderungen hervor, die auch aus deutscher Sicht positiv zu bewerten sind.
Finanzierung
Die Finanzierung der Universitäten erfolgt nahezu ausschließ lich durch öffentliche Mittel. Sie ist zu zwei Dritteln von Studentenzahlen abhängig, allein das für Forschung bestimmte Drittel ist fixiert. Die Universität erhält für jeden Studenten (während der Regelstudienzeit) sowie für jedes bestandene Examen einen festgelegten Betrag. Da die Mittelverwaltung dezentralisiert wurde, muß also bei sinkenden Studentenzahlen auf allen Ebenen der Universität der Personalbestand vermindert werden. Dies ist bei kleinen Schwankungen (unter 20%), die durch Kürzungen beim zeitlich angestellten Personal aufgefangen werden können, kein Problem. Bei grö▀ eren Schwankungen, wie wir sie gegenwärtig erleben, müssen allerdings auch Festangestellte entlassen werden. Nach niederländischem Recht ist es sogar möglich, im Zuge von Auflösungen von Funktionen und Reorganisation selbst beamtetes Personal zu entlassen. Damit dies aber nicht willkürlich geschieht, mu▀ auch die Arbeitslosenunterstützung von der Universität getragen werden, allerdings aus Mitteln, die vom Ministerium pauschal vorgeschossen werden. Universitäten (bzw. Fakultäten, Institute), die wenig Unterstützung bezahlen müssen, können aus diesen Mitteln einen Gewinn erzielen. Daher sind sie bemüht, durch interne Umbesetzungen oder 'outplacement' selbst bei Reorganisationen Arbeitslosigkeit zu verhindern. Letztendlich treffen dann auch die Entlassungen selten die fähigsten Kollegen.
Dezentralisierung
Da Personal- und Sachmittel bis auf Institutsniveau dezentralisiert sind, führt dieses System bei einem Überangebot an Studienplätzen zu einer Konkurrenz der verschiedenen Universitäten und Studienrichtungen um Studenten. Die Studenten werden wiederum durch Konsumentenzeitschriften sowie durch die in der Presse verbreiteten Ergebnisse der Beurteilungskommissionen, die Lehre und Forschung regelmä▀ig überprüfen, über die Qualität der verschiedenen Studienrichtungen informiert. Da ein negatives Urteil ein Absinken der Studentenzahlen und damit Stellenkürzungen verursachen kann, strebt man permanent eine Verbesserung der Qualität - und Studentenfreundlichkeit - des Lehrangebots an.
Das Ausmaß der Dezentralisierung lä▀t sich am besten an zwei Beispielen verdeutlichen: Meine Berufungsverhandlungen als Hochschullehrer an der Universität Utrecht führte ich allein auf Fakultätsebene. Den Rektor traf ich erstmals zur Unterzeichnung meines Anstellungsvertrages. Im Ministerium bin ich nie gewesen. Unsere sozialwissenschaftliche Fakultät erhält von der Universität gegenwärtig etwa 50 Millionen Gulden, über die sie relativ selbständig verfügen kann. Diese Mittel werden an die verschiedenen Studienrichtungen verteilt, die damit auch relativ frei umgehen können. Beispielsweise habe ich als Institutsdirektor für ein halbes Jahr einen amerikanischen Kollegen als Gastprofessor eingestellt und aus einer Planstelle bezahlt. Auch die Umwidmung von Personal- in Sachmittel ist problemlos und Mittel können über Jahre angespart werden.
Wissenschaftliche Mitarbeiter auf einer Planstelle müssen bei Tauglichkeit nach einer Probezeit von vier bis fünf Jahren auf eine Dauerstelle übernommen werden. Wie schon angemerkt sind Dauerstellen aber nicht unbedingt Lebenszeitstellen. Weiterhin findet mit Mitarbeitern jedes Jahr ein Gespräch über ihre Arbeitsleistung statt und vor jeder nicht altersabhängigen Gehaltserhöhung ein Beurteilungsgespräch. Wenn ein Mitarbeiter bestimmten Leistungskriterien nicht genügt, kann der Lehrstuhlinhaber die höhere Einstufung unterbinden. Weiterhin besteht die Möglichkeit, bei unbefriedrigenden Forschungsleistungen die Lehrverpflichtungen von Mitarbeitern zu erhöhen, wenn deren Lehre gut beurteilt wurde. Den Gewinn an Forschungszeit kann das Institut dann wieder verwenden, um die Lehrverpflichtungen von besonders produktiven Forschern zu vermindern.
Leistungskontrollen und -kriterien
Sowohl die Lehre als auch die Forschung unterliegt regelmä▀igen externen Leistungskontrollen. Von der VSNU (dem Verband Niederländischer Universitäten) werden internationale Kommissionen berufen, die die Lehr- und Forschungsleistungen einer bestimmten Disziplin an allen niederländischen Universitäten einer vergleichenden Beurteilung unterziehen. Die Kommissionen, die die Lehre begutachten, ziehen nicht nur die Lehrpläne heran sondern auch die jedes Semester durchgeführte Evaluation durch die Studenten. Weiterhin werden im Rahmen einer Institutsbegehung auch Gespräche mit Studenten und Mitgliedern des Lehrkörpers geführt und stichprobenmä▀ig Prüfungsarbeiten und deren Benotung kontrolliert. Die Ergebnisse werden in Berichten veröffentlicht, die über Presse und Fernsehen weite Publizität erhalten. So erfährt man auf diesem Wege z.B., da▀ die Lehre in der Psychologie an der Universität X aus den und den Gründen als unterdurchschnittlich beurteilt wurde oder da▀ die Forschungsleistungen der sozialpsychologischen Abteilung des Psychologischen Instituts der Universität Y wegen der zu geringen Anzahl internationaler Publikationen als unbefriedigend bewertet wurden. Ein schlechtes Ergebnis bei der Lehrbeurteilung hat unmittelbar eine Inspektion durch das Ministerium zur Folge. Eine schlechte Note für die Forschungsproduktivität kann hingegen zur Reduktion oder zum Verlust der universitären Forschungsmittel führen.
In den letzten zehn Jahren hat sich das Kultusministerium im wachsenden Ma▀e um die Reorganisation der Forschung bemüht, um deren Produktivität zu erhöhen. All diesen Aktivitäten lag die Annahme zugrunde, da▀ grö▀ere Forschergruppen produktiver sind als kleinere, was sicherlich nicht bei allen Wissenschaften zutrifft. Gegenwärtig ermutigt das Ministerium die Bildung interuniversitärer Forschungszentren - sogennannte 'Onderzoekschoolen' (Forschungsschulen) - in denen alle hochqualifizierten niederländischen Forscher, die sich mit einem bestimmten Fragenkreis befassen, zusammenarbeiten sollen. Die Teilnahme an solchen Schwerpunkten ist an Qualitätskriterien gebunden, die von der Königlich-Niederländischen Akademie der Wissenschaften überprüft werden. So müssen Wissenschaftler, die an einem der psychologischen Forschungszentren mitarbeiten wollen, in der Regel nachweisen, da▀ sie in den vorangegangen fünf Jahren mindestens fünf Publikationen in guten englischsprachigen wissenschaftlichen Zeitschriften veröffentlicht haben. Wer sich auf diesem Wege nicht zu qualifizieren vermag, mu▀ mit einer Erhöhung der Lehrverpflichtungen rechnen. Gehört ein Hochschullehrer zu einem Zentrum, sind seine Doktoranden in der Regel ebenfalls Mitglieder. Das Zentrum bietet für sie ein Lehrprogramm an und überwacht Fortschritte sowie die Qualität der Doktorarbeit. Während der Nutzen der Schwerpunktbildungen für die Forschung noch belegt werden mu▀, ist schon jetzt deutlich, da▀ die Doktorandenausbildung erheblich verbessert werden konnte.
Konsequenzen
Durch die Dezentralisierung der Organisation sowie durch die Einführung von Anreizen für Qualität in Lehre und Forschung haben die Niederländer ein Universitätssystem entwickelt, das gelenkiger und effizienter ist als das deutsche. Was die Forschungsproduktivität angeht, braucht es sogar den Vergleich mit dem amerikanischen System nicht mehr scheuen. Kernpunkt der 'Modernisierung' der Universitäten ist allerdings die Flexibilisierung der Personalstruktur. Ohne diese bliebe die Einführung von Leistungskontrollen wirkungslos. Produktivitätskriterien und externe Beurteilung zeigen nur dann eine Wirkung, wenn sie mit persönlichen Konsequenzen für die Akteure verbunden sind. Solange man in Deutschland die Professoren auf Lebenszeit verbeamtet und sie damit gegen die Konsequenzen auch extremster Inkompetenz immunisiert, kann man das Modell Niederlande zwar beneiden aber nicht nachahmen.
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